Homepage von Hans-Jürgen Honsa
Zunächst einmal möchte ich mich bedanken, dass ich die Möglichkeit habe, Ihre diesjährige Fachtagung hier in Südbaden mit eröffnen zu können.Ich nutze die Gelegenheit gern, um mich einmal für Ihre wichtige Arbeit zu bedanken. Zum anderen möchte ich Ihnen die grundlegenden Zielsetzungen der Drogen- und Suchtpolitik der Regierung zu erläutern. Dass mittlerweile das zuständige Innenministerium Ihre Arbeit anerkennt und die Schirmherrschaft für Ihre Tagungen übernimmt, ist ein ermutigendes Zeichen, dass Sie mit Ihrem Anliegen ernst genommen werden.
In Ihrem eigenen Selbstverständnis haben Sie 1990 ja gewissermaßen einen “Tabubruch” begangen, als Sie Abhängigkeitserkrankungen innerhalb der Polizei zu Ihrem Thema gemacht haben und damit zu Beginn sicherlich nicht nur Unterstützung fanden. Aber Sie haben nicht länger die Augen davor verschlossen, dass es Suchtprobleme selbstverständlich in allen Kreisen der Bevölkerung gibt und dass dies für solche Berufsgruppen, die oft außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt sind, erst Recht gilt. Da aber die Polizei die Bürger gerade in Krisensituationen unterstützen soll und Gefahren abwehren muss, ist der Druck “zu funktionieren” natürlich besonders groß.
Wir können davon ausgehen, dass etwa jeder 7. Beschäftigte in Betrieben und in der Verwaltung Suchtprobleme, hauptsächlich mit Alkohol hat. Es hat aber bis 1988 gedauert, bis die „Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung“ (KGSt) in Köln zum ersten Mal eine Handreichung zum Umgang mit dieser Problematik im öffentlichen Dienst entwickelt hat. Der Autor des sehr aufschlussreichen und engagierten Plädoyers für eine stärkere Sensibilität für die Suchtproblematik im öffentlichen Dienst Hans-Jürgen Honsa {Hans-Jürgen Honsa (2002): Alkohol- und Drogenmissbrauch im öffentlichen Dienst. Ursachen – Auswirkungen – Bekämpfungsstrategien; Erich-Schmidt-Verlag; Berlin} stellt zunächst fest, dass erst durch den Druck aus der Wirtschaft auch der öffentliche Dienst die Bedeutung dieser Thematik erkannt habe, um dann ein doch skeptisches Fazit zu ziehen: „Der Amtsschimmel reagierte erwartungsgemäß und routiniert; eben behördengemäß. Dienstanweisungen und Erlasse (…) folgten prompt. Kaum eine Verwaltung mit einer gewissen Bedeutung in der bundesdeutschen Behördenlandschaft, die keine solche Regelung für ihre Mitarbeiter hatte. Es schien, als würde sich der öffentliche Dienst Deutschlands an einem Wettbewerb mit dem Motto: ‚Unsere Verwaltung soll trockner werden!‘ beteiligen. Nach anfänglicher Euphorie und einem gewissen Aktionismus ist heute allerdings festzustellen, dass von dem Bewusstsein um die ständige Herausforderung Sucht am Arbeitsplatz leider nicht mehr viel übrig geblieben ist.“
Diese pessimistische Sicht rührt von geschilderten Erfahrungen von engagierten Helfern in der betrieblichen Suchtkrankenhilfe her, denen gewisse ‚Abnutzungserscheinungen‘ anzumerken sind. Hinzu kommen Sparzwänge im öffentlichen Dienst.
Meine Damen und Herren, so verständlich die Frustrationen nach langjährigen Erfahrungen mit der „Mühe der Ebene“ auch sein mögen, lassen Sie sich nicht davon anstecken. Denn natürlich braucht es eines langen Atems und der Kraft zum Bohren dicker Bretter, wenn die angemessene und fachlich qualifizierte Behandlung des Themas der Sucht im betrieblichen und behördlichen Alltags nicht zur Routine verkommen, sondern zur Selbstverständlichkeit werden soll.
Das ist allein schon aus volkswirtschaftlichen Gründen notwendig, wenn wir davon ausgehen, dass die durch eine Alkoholkrankheit entstehenden Kosten sich auf rund 20 Mrd. € belaufen. Alkoholkranke Mitarbeiter haben im Schnitt eine zwei- bis dreifach höhere Zahl von Krankheitstagen als der Durchschnitt der Belegschaft. Die KGSt hat modellhaft am Beispiel Dortmunds errechnet{KGSt-Bericht 1988; Nr. 8}, was es für die Kommune bedeutet, wenn 5 bis 7% der Mitarbeiter alkoholkrank sind und rund 5 bis 10 % als alkoholgefährdet gelten können. Rund 1-2% der gesamten Lohn- und Gehaltskosten würden verloren gehen, das sind für Dortmund schon rund 3,5 bis 4 Mio. €. Bei rund 5 Mio. Beschäftigten im öffentlichen Dienst zeigt sich die Gesamtdimension des Problems.
Schon aus diesem Grund müssen die öffentlichen Arbeitgeber ein verstärktes Interesse haben, Suchtprobleme offensiver zu thematisieren und Wege der rechtzeitigen Hilfen zu unterstützten.
Die andere Seite entsteht natürlich aus der sozialen Verpflichtung, suchtkranken Menschen zu helfen und jeder, der eine Suchtkrankheit im Kreis der Angehörigen kennt oder sie selbst durchmacht, weiß, wie viel Leid, aber auch Schuldgefühl und Scham hier entsteht und wie mühsam noch immer der Weg aus der Sucht heraus ist. Daraus ergibt sich auch die besondere Fürsorgepflicht des öffentlichen Arbeitgebers für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Familien.
Dabei führt der Genuss von Suchtmitteln nicht automatisch zu einer Sucht und auch eine Suchterkrankungen kann jahrelang relativ unentdeckt bleiben, solange sie nicht den Dienstbetrieb beeinträchtigt. Erst bei einer schuldhaften Pflichtverletzung kann es zu einer Trennung vom Beamten oder Angestellten kommen, aber dann ist die Katastrophe meist schon groß.
Allerdings haben bestimmte Bereiche des öffentlichen Dienstes auch eine besondere Vorbildfunktion und es ist gesellschaftlich nicht zu akzeptieren, wenn etwa Polizeibeamte oder Soldaten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss ihren Dienst versehen. Um so wichtiger ist es, rechtzeitig zu handeln, frühzeitig aufzuklären, aber auch Hilfen anzubieten und nicht nach dem Motto zu verfahren: erst weggucken, dann feuern!
Wir brauchen stattdessen eine Kultur des Hinguckens auf Drogen- und Suchtprobleme und nicht das bagatellisieren oder tabuisieren. Die neue Bundesregierung hat auch ein Tabu gebrochen, weil die frühere Konzentration auf die Probleme des illegalen Drogenhandels und -konsums aufgegeben worden ist und legale Suchtmittel und ihre Risiken thematisiert werden und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung folgerichtig nicht mehr ins Innenministerium, sondern ins Gesundheitsministerium eingebunden ist.
Warum tun wir das?
Mittlerweile wissen wir, dass fast 9 Mio. Menschen in Deutschland einen riskanten Alkoholkonsum betreiben mit erheblichen gesundheitlichen, aber auch sozialen Folgen. Über 1,6 Mio. Menschen sind behandlungsbedürftig alkoholabhängig, jährlich sterben über 40.000 Menschen in Deutschland an den Folgen ihrer Alkoholsucht, rund 180.000 werden nach offiziellen Daten wegen einer alkholbezogenen Erkrankung in Krankenhäusern behandelt, aus unseren Studien wissen wir, dass in Wirklichkeit jedes fünfte Bett ein “Suchtbett” ist. Jeder zehnte Patient in der ambulanten ärztlichen Behandlung hat Suchtprobleme. Rund 33.000 Verkehrsunfälle mit Personenschäden ereignen sich jährlich unter Alkoholeinfluss. Es werden fast 100.000 Straftaten mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung unter Alkoholeinfluss begangenen und damit sind gerade Polizisten vor Ort oft als erste befasst.
Beim Tabakkonsum gibt es ebenfalls besorgniserregende Entwicklungen. Zwar geht seit die Raucherquote in der Bevölkerung seit den letzten Jahrzehnten zwar langsam, aber stetig zurück, jedoch steigt sie seit Mitte der 90er Jahre insbesondere bei Jugendlichen und hier vor allem bei Mädchen wieder an. Es gibt über 100.000 tabakbedingte Todesfälle pro Jahr, vor allem Krebs- und Herzkreislauf-Erkrankungen.
Deshalb tut die Bundesregierung hier auch etwas:
Dass ich mich als “Drogenbeauftragte” überhaupt damit beschäftige, verunsichert die Tabak- und die Alkoholindustrie, die mich deshalb auch kürzlich als “Präventionsbeauftragte“ tituliert hat. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber es bedeutet eben auch, die gesundheitlichen Risiken durch Alkohol- und Tabak entsprechend zu benennen und nicht zu verschweigen!
Wir müssen zum anderen die neuen Trends bei Jugendlichen wahrnehmen: wir beobachten, dass Teile von Jugendlichen insgesamt riskanter konsumieren und zwar sowohl Alkohol, wie illegale Drogen, vor allem Cannabis und Ecstasy und das oft in riskanten Mischungen. Die Zahl derjenigen, die in Beratungsstellen betreut werden, hat sich in den letzten Jahren verdoppelt.
Auch der riskante Umgang mit Medikamenten ist für mich ein wichtiges Thema, denn schon bei Kindern und Jugendlichen scheint sich in zunehmendem Maße ein lockerer Umgang z.B. mit Schmerzmitteln zu etablieren. Bei Berliner Schülern wurde registriert, dass jeder fünfte Zehntklässler regelmäßig Medikamente einnimmt, in besonders hohem Maße Analgetika, vor allem Kopfschmerztabletten {Kiss, A. (1997): Gesundheit und Gesundheitsverhalten von Jugendlichen in Berlin unter besonderer Berücksichtigung der Ergebnisse der Schulentlassungsuntersuchungen 1994/95; Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales}.
Der Konsum von Opiaten, hier vor allem Heroin, stagniert auf einem leider zu hohen Niveau, denn die gesundheitlichen und sozialen Folgen einer Heroinabhängigkeit sind gravierend. Auch wenn nur weniger als 1% der erwachsenen Bevölkerung Erfahrungen mit dem Konsum von Heroin hat, ist die gesundheitliche, psychische und soziale Verelendung in dieser Gruppe sehr stark. Jeder zweite der Heroinabhängigen befindet sich mittlerweile in einer Behandlung (jeweils rund 10.000 in ambulanten und stationären drogenfreien Behandlungsmaßnahmen und rund 50.000 in einer Substitutionsbehandlung hauptsächlich mit Methadon). Mit dem Modellprojekt einer heroingestützten Behandlung wollen wir die Gruppe der Schwerstabhängigen erreichen, denen mit den bisherigen Angeboten nicht geholfen werden konnte und mit der Herstellung von Rechtssicherheit für sog. Drogenkonsumräume, von denen es mittlerweile 20 in fünf Bundesländern gibt, wollen wir dazu beitragen, die Zahl der Drogentodesfälle weiter zu reduzieren, die im letzten Jahr glücklicherweise um 9,6% gesunken sind.
Die Drogen- und Suchtpolitik steht auf dabei auf den Säulen:
Prävention, Therapie , Überlebenshilfen, Repression und Angebotsreduzierung.
Der Prävention kommt hierbei die zentrale Bedeutung zu. Wobei wir heute wissen, Abschreckung und der erhobene Zeigefinger sind nicht die wirksamsten Maßnahmen. Stattdessen sind selbstbewusste und lebenstüchtige Kinder und Jugendliche, die auch mal nein sagen können, am besten geschützt. Wir brauchen aber eine langfristige Präventionsstrategie, in der die Lebensweise und Einstellungen, die Wertesysteme und die Perspektiven, aber ebenso die Ängste von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden und als Kernstück eine Förderung und Stärkung von individuellen Handlungskompetenzen (der sog. life-skill-approach), sie eine Verbesserung der entwicklungsfördernden Umweltbedingungen, z.B. verlässliche, soziale Beziehungen, gesicherte ökonomische Bedingungen, altersadäquate Freiräume und Erfahrungsfelder, Aufmerksamkeit und Zuwendung und positive Vorbilder.
Prävention soll 1. positive Botschaften vermitteln, 2. interaktive Angebote machen mit aktiver Mitgestaltung, 3. Gleichaltrige mit einbeziehen und 4. die gesamte Kommune mit einbeziehen, also statt Informationskampagnen durchzuführen, die in der Mediengesellschaft verpuffen, alle Beteiligten an einen Tisch bringen und gemeinsame Aktivitäten festlegen, um Suchtprobleme offensiv anzugehen.
Darüber hinaus soll sich die Prävention an die besonders auffälligen oder risikobehafteten Gruppen richten, z.B.:
1. Kinder aus suchtkranken Familien sind eine besondere Risikogruppe, weil sie eine erhöhte Suchtgefährdung aufweisen;
2. jugendliche Aussiedler sind wegen ihrer oft nicht gelungenen Integration eine Gruppe, die ebenfalls in hohes Suchtrisiko hat;
3. Jugendliche in der „Partyszene und Technoszene“ fallen durch häufigen und heftigen Konsum auf.
Für diese Gruppen haben wir eigene Konzepte entwickelt, um sie besonders anzusprechen. Darüber hinaus haben wir ein Programm FRED (Frühintervention bei erstauffälligen Drogekonsumenten) gestartet, wo für junge Erstauffällige, die mit dem Betäubungsmittelrecht in Konflikt kamen, ein Beratungsangebot gemacht wird. In Kursen soll herausgefunden werden, warum nehme ich was und wie riskant ist mein Konsum. Hier zeigt sich, wie wichtig die Unterstützung der beteiligten Polizeibeamten ist, um die Jugendlichen für eine solche Maßnahme zu gewinnen.
Und wir sind schließlich dabei, Eckpunkte für einen umfassenden Aktionsplan Drogen und Sucht für das Kabinett vorzubereiten, um gemeinsam mit den Ländern, Verbänden und gesellschaftlichen Gruppen eine gemeinsam abgestimmte Strategie festzulegen, wie wir Suchtprobleme in unserer Gesellschaft in den nächsten Jahren angehen wollen und ihre gesundheitlichen und sozialen Schäden weiter reduzieren können.
Dazu benötige ich Ihr Engagement und Unterstützung und ich versichere Ihnen, mich für Ihre Belange weiterhin einzusetzen und mich darum zu kümmern, dass Ihre Bemühungen nicht im berühmten bürokratischen Mahlsand verschwinden.
Für Ihre Tagung wünsche ich Ihnen noch einen interessanten und spannenden Verlauf.
(Grußwort zur Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Sucht in der Polizei am 13. Mai 2002 in Freiburg)